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Kommentar: Der Norweger-Express

Bennie Lindberg kommentiert den Norweger-Express in Tritime Magazin

Koyawa Cheftrainer Bennie Lindberg hat ein Kommentar zu den Erfolgen der norwegischen Triathleten in Tritime Magazin geschrieben. Hier der Inhalt:

Was haben Michele Jones, Daniela Ryf und Anne Haug bei den Damen sowie Jan Frodeno, Andreas Raelert, Chris McCormack, Gustav Iden und Kristian Blummenfelt bei den Herren gemeinsam? Alle acht Athleten waren nicht nur auf der olympischen Distanz sehr erfolgreich, sondern dominier(t)en nach ihrem Wechsel auf die längeren Distanzen auch dieses Format. Mit einem kleinen Unterschied jedoch: Gustav Iden (26) und Kristian Blummenfelt (28) sind noch sehr jung und zeigen gleichzeitig in der World Triathlon Championship Series (WTCS) praktisch keine Schwächen und der Konkurrenz, wo der „berühmte Hammer“ hängt. Beide Athleten scheinen problemlos zwischen den „Welten“ hin und her zu wechseln.

Im Grunde nichts Neues, schließlich gehörte in den Achtzigern und Neunzigern genau dieser Wechsel zwischen den unterschiedlichsten Distanzen bereits zum Triathlon-Alltag der Top-Profis. Mit Aufnahme in das olympische Programm änderte sich in den vergangenen beiden Dekaden in den meisten Triathlon-Nationen jedoch die Herangehensweise an den professionellen Triathlonsport. Bedingt durch die Förderung der olympischen Sportarten durch die öffentliche Hand und die Fokussierung auf die Kurzdistanz wurde ein Tanz auf beiden Hochzeiten quasi unmöglich. Seitdem erlaubten sich lediglich einige erfahrene ältere Athleten in der nacholympischen Saison einen Ausflug auf die Mitteldistanz. Sicherlich ist es verantwortungsbewusst und gesundheitlich nachhaltig, die talentierten Athleten mit Bedacht und Schritt für Schritt auf die längeren Distanzen vorzubereiten. All diese Athleten können auf die im olympischen System erlernten Fähigkeiten, den dort gesammelten Erfahrungen und Lebenskilometer zurückgreifen. Jene jedoch aus Gründen der Förderung über zehn und mehr Jahre ausschließlich auf die Sprint- und Kurzdistanz einzugrenzen, finde ich sehr schade. Abwechslung im Trainingsaufbau, das setzen weiterer Reize und neue rennen in einem „komplett anderen Umfeld“ sorgen definitiv für einen zusätzlichen Motivationsschub. Bestes Beispiel ist der Norweger-Express um Kristian Blummenfelt und Gustav Iden, die gemeinsam mit ihrem Betreuerstab – neben Erfahrung und detailliertem Wissen im trainingswissenschaftlichen Bereich – auch viel sehr Zeit und Geld in die Erhebung und Analyse der Effekte eines Höhentrainings, der Akklimatisierung und der Körperdaten investiert haben.

KÖRPERDATEN

Gerade letzteres wurde seit den Erfolgen von Iden und Blummenfelt in der Szene immer wieder thematisiert und diskutiert. Die beiden Norweger haben in den vergangenen beiden Jahren auf allen Distanzen nicht nur sämtliche Titel unter sich ausgemacht, sie sind auch Norweger im Sammeln von Körperdaten. Ob beim Höhentraining oder unter feucht-heißen klimatischen Bedingungen, ihr Organismus wird nahezu rund um die Uhr sowie vor, während und nach den einzelnen Trainingseinheiten getrackt und analysiert, inklusive Körperkerntemperatur und der Bedeutung der Kühlung. Zielsetzung all dieser Erhebungen ist es, alle Vorgänge und deren Abhängigkeiten – inklusive Regeneration – im Körper zu verstehen. Das Ergebnis ist nicht nur eine detaillierte Rennvorgabe der Pace, Wattwerte und/oder Herzfrequenzen, sondern auch hinsichtlich der optimalen Energie- und Flüssigkeitsaufnahme unter Belastung. Auffällig ist die Aussage „Körpergewicht ist ein Parameter, der uns nicht interessiert“. Kalorien, die im Training verbrannt werden (können), müssen auch zugeführt werden. Ein Ansatz, den ich persönlich sehr mag, ganz im Gegensatz zur Einstellung mit einem möglichst geringen Gewicht an der Startlinie zu stehen. Das Beispiel Kristian Blummenfelt zeigt, dass sich bei ihm ein paar vermeintlich zu viele Kilogramm deutlich besser auf seine Leistung und Regenerationsfähigkeit auswirken als mit zwei, drei Kilogramm weniger. Es spricht für Blummenfelt, dass er bislang von Stressfrakturen oder Übertraining verschont wurde, trotz hoher Umfänge und Intensitäten bis kurz vor dem Wettkampftag.

LESSONS LEARNED

Und was bedeutet all dies für einen vollzeitbeschäftigten Altersklassenathleten? Natürlich helfen die am Markt angebotenen Diagnostiken, zahlreiche Ansatzpunkte für eine Leistungssteigerung zu finden. Bewahren Sie bitte die Ruhe und finden Sie die für Sie funktionierende Trainingsrezeptur, auch vor dem Hintergrund Ihrer privaten Verpflichtungen, der verfügbaren Freizeit, Ihrer sportlichen Ambition und absolvierten Lebenskilometer. Und manchmal ist weniger auch mehr, denn einige erfolgversprechende Maßnahmen lassen sich auch ohne zusätzliche Zahlen, Daten und Fakten oder durch state-of-the-art-Equipment umsetzen: Optimieren Sie Kontrollierbares, neben einem intelligenten Trainingsaufbau Ihr Mind-set! Lassen Sie sich von ihren meist erfahreneren Trainings- und Vereinskollegen nicht stressen. Genießen Sie Ihre Vorbereitungszeit und den Wettkampftag. Halten Sie sich an Ihre Vorgaben, auch an die Regenerationsphasen. Planen Sie bei einem Rennen im Ausland genügend Zeit für die Akklimatisierung ein. Lassen Sie sich durch die Gruppendynamik ihrer Mitstreiter nicht dazu verleiten, zu schnell zu sein, es zerstört Sie, immer, insbesondere auf den längeren Distanzen. Halten Sie sich von Anbeginn an ein möglichst realistisches, gleichmäßiges Tempo. Versorgen Sie sich regelmäßig mit Energie, kühlen Sie bei heißen Bedingungen Ihren Körper und – ich wiederhole mich gerne – halten Sie sich an Ihre Vorgaben! So wie Gustav Iden auf Hawaii, um im entscheidenden Moment das Rennen für sich zu entscheiden.

– Bennie Lindberg